PROTEINURIE
Differentielle
klinische Bewertung der
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Einleitung
Die vermehrte Ausscheidung von Eiweißkörpern im Harn
ist kardinales Zeichen einer Nierenerkrankung (3, 8 ).
Eine Proteinurie liegt vor, wenn die
Eiweißausscheidung über 200- 300 mg/ Tag beträgt. Bis auf Sonderformen der Proteinurie muß der Hintergrund
einer wahrscheinlichen Nierenbeteiligung, insbesonders
in Verbindung mit einem sog. "aktiven Harnsediment" (Erythrozyturie, Leukozyturie,
Zylinder), umgehend nephrologisch abgeklärt werden.
"Nephrologisch" bedeutet die Einschaltung eines Internisten mit der
Gebietsbezeichnung Nieren- und Hochdruckkrankheiten (Nephrologe).
Nicht selten werden Patienten mit Proteinurie zu
einem "Urologen" überwiesen, der als Chirurg jedoch hierfür zunächst
nicht der geeignete Ansprechpartner ist.
Bei isolierter Ausscheidung roter Blutzellen im Harn
(Mikrohämaturie/ Makrohaematurie) o h n e Proteinurie ist dagegen eine zusätzliche urologische
Abklärung sinnvoll, da hier neben Nierenerkrankungen (z.B. sog. IgA-Nephritis) und einer Urogenitaltuberkulose auch Tumore
der Niere und der ableitenden Harnwege ausgeschlossen werden müssen. Der
Urologe wird unter diesen Bedingungen mit invasiven Verfahren ( z.B.
Blasenspiegelung, Prostatapunktion/ Prostatastanze) die Haematurie
abklären.
Ist die Haematurie mit einer Proteinurie
k o m b i n i e r t, so liegt meist eine Nierenerkrankung vor, die zuerst vom
Internisten erkannt und behandelt wird.
Die klinische Bewertung der Proteinurie (Abkürz.: PU) hat sich seit den letzten Jahren grundlegend
geändert ( 2, 3, 4, 6, 14 ; Tabl. 1 ).
Proteinurie ist nicht nur als "Epiphenomen" zu sehen, sondern ist ein selbständiger
pathogenetisch wichtiger Faktor in der Progression einer
Nierenerkrankung (Tabelle 2 ).
Hinzu kommt, daß die Art der an einer PU beteiligten
Eiweiße Aufschluß über die mögliche renale Grunderkrankung
geben kann (Glomerulonephritis, interstitielle Nephropathie). In der
Stufendiagnostik einer Nierenerkrankung ist insbesonders
die Kenntnis des Musters der PU essentiell (5, 8, 13,16).
Definition und
Grundlagen
Eine Eiweißausscheidung über ca
200 mg/ 24 Stunden (bezogen auf ein Harnvolumen von 1.5 Liter) ist klinisch
relevant. Eine PU darf nur zusammen mit dem übrigen Harnstatus (Harnsediment)
beurteilt werden.
Die PU kann klinisch unbedeuted sein (physiologisch,
"funktionell"; Tabl. 3) . Werden dagegen
1.5 Gramm/24 Std. bei Kindern und 3.5 Gramm/24 Std. bei Erwachsenen
überschritten, so handelt es sich um eine "große Proteinurie".
Kritisch ist, daß die häufig in der Praxis zunächst
angewandten Bestimmungsmethoden nur einen Teil der Eiweiße erfassen. Einige
Grunderkrankungen würden hierbei nicht erkannt: So bliebe bei
einer Leichtketten-PU (im Grammbereich) die monoklonale pathologische Bildung
von Immunglobulinbruchstücken, die in hohen
Konzentrationen im Harn erscheinen können, mit den Screening-Methoden
(Sticks-Tests) oder in der Gesamtproteinbestimmung (Biuret-Methode,
Lowry-Methode, Proteinfällungsmethoden) sehr wahrscheinlich unerkannt.
Kleinmolekulare Proteine unter einem Molekulargewicht von 40-30.000 Dalton
werden nämlich unzureichend oder nicht mit diesen Laborverfahren detektiert.
Typischerweise ist die PU asymptomatisch. Patienten werden durch die
Schaumbildung des Harns während der Miktion erstmals aufmerksam. Bleibt die
Schaumbildung nach Schütteln einer Harnprobe im Reagenzglas mit einer Höhe von
über 3 mm stabil, ist eine Proteinurie
wahrscheinlich.
Von der betroffenen "Lokalisation" wird eine prärenale PU
von einer renalen und postrenalen PU
unterschieden (Tabl. 4).
An der PU beteiligt sind: Serumeiweiße, insbesonders
Albumin und Transferrin, niereneigene Proteine und Proteine der ableitenden
Harnwege (siehe Tab. 5 ).
Berücksichtig wird nicht nur die absolute Menge Eiweiß im Harn, sondern die Art
der molekularen Zusammensetzung, d.h. der Anteil hoch-, mittel-,
und kleinmolekularer Proteine.
Mittel- bis hochmolekulare Serumproteine wie Albumin, Transferrin, IgG, IgM, etc erscheinen im Harn,
wenn das Siebverhalten der glomeruläre Basalmembran gestört
ist (verminderte Permselektivität). Die
"Durchlässigkeit" der glomerulären Basalmembran gegenüber
Serumproteinen hängt jedoch nicht nur von deren Molekülgröße (od.
Radius) ab, sondern auch von deren Form. So werden globuläre Proteine (Albumin) leichter filtriert als "filamentäre" (z.B. Fibrinogen). Die Basalmembran der
Glomeruli ist jedoch nicht nur ein Molekülgrößenabhängiger Filter, sondern auch
ein ladungsselektiver Filter (Modelle: siehe 9). Positiv
geladene Serumproteine (kationische Proteine) permeieren
die Basalmembran leichter als negativ geladene Serumeiweiße (anionische
Proteine). Die glomeruläre Basalmembran selbst enthält als elektrische
Ladungsbarriere gegenüber Serumproteinen fixe negative Ladungsträger (sog.
"glomeruläres Polyanion"). Bei Nierenerkrankungen wie z.B. der
minimal-change-Glomerulopathie, bei
Immunkomplex-Nephritiden und der Glomerulopathie bei
Diabetes mellitus verliert die glomeruläre Basalmembran diese gebundenen
Anionen, die als "elektrisches Maschengitter" die Bluteiweiße an
einem Durchtritt durch die Basalmembran der blutfilternden Kapillarschlingen
(d.h. der Glomeruli) hindern.
Die resultierende großmolekulare PU ist daher vom "glomerulären
Typ". Sie betrifft den Filtrationsapparat.
Proteinurie und Nierenfunktion
Über den Nachweis einer PU darf nicht auf die
Nierenfunktion (z.B. glomeruläre Filtrationsrate, Kreatinin-clearance)
geschlossen werden. Eine PU schweren nephrotischen
Ausmaßes ( > 20 gr/24
Std) kann mit einer normalen Kreatininkonzentration
im Serum einhergehen. Allerdings ist eine hohe Ausscheidung an IgG bei membranöser
Glomerulonephritis ein Prädiktor für einen progredienten Verlauf, d.h. zeigt
einen wahrscheinlichen späteren Funktionsverlust an (12 ). Umgekehrt gilt, daß eine chronisch kompensierte Niereninsuffizienz (z.B.
Kreatinin im Serum 5 mg/dl) nur eine vergleichsweise geringradige
PU aufweisen kann. Typisch hierfür ist z.B. die Analgetika-Nephropathie oder
andere Formen toxischer und/oder tubulointerstitieller
Nierenerkrankungen. Ähnliches wurde über manche Patienten mit systemischem
Lupus erythematodes berichtet, die bei geringer PU dennoch ausgedehnte
histologische Veränderungen im Nierenbioptat zeigten.
Liegt bei großer PU eine eingeschränkte glomeruläre Filtrationsrate vor, so
geht bei weiterer Verschlechterung der Nierenfunktion die PU i.A. zurück, da
die Zahl ultrafiltrierender Nephrone abnimmt. Patienten mit Nierenamyloidose
eliminieren jedoch auch noch in oligurischen Stadien
häufig erhebliche Proteinmengen ( 20- 40 Gramm /Tag).
Die Proteinurie begünstigt auf Dauer die progrediente
Verschlechterung der Nierenfunktion. Die Tubulusepithelien
müssen sich vermehrt mit den hohen intraluminalen
Proteinmengen auseinandersetzen. Das vermehrt filtrierte Eiweiß enthält z.T.
toxische Komponenten, wie z.B. Komplementfaktoren, Eisen- und Kupferbindende
Proteine. Andererseits induziert das vermehrt von den Tubuluszellen
aufgenommene Eiweiß im Zellinneren die Bildung entzündlicher Mediatore bzw. von Signalstoffen, die Entzündungszellen wie
Granulozyten und Monozyten/Makrophagen anziehen. Die durch erhöhte
Proteinakkumulation in Tubuluszellen synthetisierten
"proentzündlichen" Substanzen sind z.B. Interleukin 6 und zytoattraktive Zytokine ( = Chemokine), wie MCP-1- (Macrophagen
chemoattraktives Protein) und RANTES (ein
kleinmolekulares Peptid, das u.a. Makrophagen anzieht).
Präanalytik
Probenart: Unter
ambulanten Bedingungen ist es am sinnvollsten, den sog. zweiten
Morgenurin als spontan gelassenen Mittelstrahlharn, den
weiteren Analysen zuzuführen (3,5,14). Die Probe eignet sich gleichermaßen für
qualitative Tests (SDS-Elektrophorese, s.u.) wie für quantitative
Einzelproteinbestimmungen, z.B. im Nephe-lometer
(16). Angegeben wird der Protein-Kreatinin-Index, d.h. die Konzentrationen der
Proteine in mg oder Gramm werden auf die Kreatininkonzentration
des Harns (in mMol/L oder Gramm) bezogen. Damit wird
der Verdünnungsgrad der Harnprobe berücksichtigt. Im großen und ganzen korrelieren jedoch die
Protein-Kreatinin-Indizes im zweiten Morgenurin mit den Angaben mg/L recht gut.
Harnproteinbestimmungen aus dem zweiten Morgenurin sind mindestens so
zuverlässig wie in 24 Std. Sammelproben. Vorteile sind auch unkompliziertere
(tägliche) Verlaufskontrollen unter einer Therapie (z.B. nach Einleitung einer
Immunsuppression).
Stabilität: Die routinemäßig analysierten Harnproteine wie
Immunglobulin IgG, Albu-min
und alpha-1- Mikroglobulin sind über mehrere Tage in verschlossenem Gefäß auch
bei Raumtemperatur stabil. Harnproben können also ungekühlt
versandt werden. Für Bestimmungen auf Serumproteine dürfen die Urine nicht eingefroren
werden, da beim Auftauvorgang viele Eiweiße denaturieren (insbesonders
IgG). Für immunologische (z.B.nephelometrische)
Untersuchungen wären die Ergebnisse deshalb unzuverlässig.
Proteinurie -
Untersuchungsverfahren
Tabelle 6 gibt eine unvollständige Übersicht über die
gebräuchlichsten Verfahren zur Proteinbestimmung in Harnproben (16). In der
klinischen Routine kommen für die qualitativenAnalysen
die Teststreifen, die Immunelektrophorese und Immunfixation (für Paraproteine)
sowie die SDS-Polyacrylamid-Gradientengel-Elektrophorese
(Abkürz.: SDS-Elpho) zur
Anwendung. Die SDS-Elpho hat den Vorteil, daß das gesamte Spektrum im Harn eliminierter Proteine
sichtbar wird (13,16, Abb. 1). Von den quantitativen Verfahren sind die Turbidimetrie und die Nephelometrie am verbreitetsten. Markerenzyme (z.B. ß-NAG) und Nierenproteine werden
entweder enzymkinetisch oder mit Hilfe von ELISA bestimmt (7,14,15 ).
Standard Harnproteine
und Normalwerte
Tabelle Nr. 7 fasst wesentliche Markerproteine
und ihre oberen Normgrenzen bei physiologischer Ausscheidung zusammen. Bei
Schwangeren kann im letzten Trimenon die Auscheidung
an Albumin und alpha-1-Mikroglobulin um das Doppelte ansteigen, ohne daß eine Nierenerkrankung im engeren Sinn vorliegt. Im
Rahmen einer ausgeprägten tubulären PU lassen sich regelhaft auch Leichtketten
nachweisen (kappa-zu lambda
Ratio 2: 1). Diese sind jedoch nicht monoklonaler, sondern stets polyklonaler Art. Zeigen sich in der Immunelektrophorese
dagegen monoklonale An-teile (monophasisch deformiertes Präzipitat), so
dominiert der jeweilige Paraprotein-Typ ganz erheblich die andere (polyklonale) L-Kette. Die Bestimmung von ß-2-Mikroglobulin
ist wegen dessen Instabilität bei niedrigen pH -Werten nicht mehr üblich.
Nierenenzyme und andere renale Markerproteine wie das
Tamm-Horsfall Glycoprotein
spielen unter Routinebedingungen keine wesentliche Rolle, sind jedoch für
klinische Studien brauchbare diagnostische Verlaufs-Parameter (7,14,15). Im
Harn erscheinen zudem, je nach Nierenerkrankung, verschiedene Zytokine
(Interleukin-6, Interleukin-8) und chemoattrahierende
Proteine bzw. Peptide, die z.B. die Infiltration von Blut-Leukozyten in die
Niere begünstigen. Ihre diagnostische und prognostische Wertigkeit ist noch
offen.
Proteinurie und diagnostische
Erwartungsgruppen
Aus dem Proteinausscheidungsmuster lassen sich gewisse
Rückschlüsse auf die mögliche Grunderkrankung bzw. das betroffene Nierenkompartment ziehen: man spricht von sog.
diagnostischen Erwartungsgruppen. Die grobe Einteilung in glomeruläre, tubuläre
und glomerulotubuläre PU beinhaltet z.B. folgende Verdachtsdiagno-sen: Alle glomeruläre PU
sind Folge einer Schädigung im Permselektivitätsverhalten
der glomerulären Basalmembran gegenüber höhermolekularen Serumproteinen, kommen
also bei entzündlichen und degenerativen Glomerulopathien
vor. Eine geringgradige selektive glomeruläre Proteinurie, fälschlich als "Microalbuminurie" bezeichnet,
ist als Vorstadium einer Nierenbeteiligung bei arterieller Hypertonie,
metabolischem Syndrom, Diabetes mellitus, allgemein erhöhtem kardiovaskulären
Risikoprofil, sowie Exposition mit Umweltgiften (organ.Lösungsmitteln)
zu verstehen (10). In der SDS-Elpho erscheint die
physiologische Albuminbande verstärkt, quantitativ
werden konstant zwischen 20 - 200 mg/L Albumin ausgeschieden (Abb.1, Bahn
Nr.8). Dieses Stadium ist potentiell noch behandelbar und rückgängig, z.B.
durch Gabe von ACE-Hemmern bei Diabetes mellitus und arterieller Hypertonie.
Klassisch ist die selektive glomeruläre PU bei kindlicher Lipoidnephrose
oder sog. minimal-change Glomerulopathie im Erwachsenenalter.
Selektive glomeruläre PU sind prognostisch günstiger einzustufen, als unselektive PU mit zusätzlich höhermolekularen Komponenten.
Primäre Nierenerkrankungen mit selektiver glomerulärer PU sprechen eher auf
eine geeignete Therapie (z.B.Glucocorticoide) an. Man
spricht dann von einer steroid-sensitiven Form (11). Glucocorticoide haben zwei
Effekte: eine schnell eintretende nichtgenomische
Wirkung, die das Energiepotential (die Stabilität der Zelle) bewahren hilft,
und eine genomische Wirkung, die antientzündlich ist und erst nach einer Latenz
einsetzt. Die antientzündliche Wirkung beruht u.a. auf der Hemmung der
Neubildung von Entzündungssubstanzen wie Interleukin 1 und Interleukin 6.
Außerdem regeln Glucocorticoide das Aktivierungsantigen CD14 (Endotoxinrezeptor) und die Bildung des CD16 Antigens ( Fc-Typ III Rezeptor) auf
Monozyten und Makrophagen herunter ( siehe Literaturanhang).
Unselektive glomeruläre Proteinurien resultieren aus schweren Basalmembranschäden
der Glomeruli, wobei praktisch alle hochmolekularen Eiweiße im Harn erscheinen.
Häufig sind Immunkomplexablagerungen, proliferative Umbauvorgänge,
Schlingensynechien, Halbmondbildungen der Bowman`schen
Kapsel und progrediente Nephrosklerose. Die Prognose
ist ungünstig, insbesonders dann, wenn zusätzlich
eine tubuläre Komponente hinzukommt (1, 12). Das Muster ist
dann eine unselektive glomeruläre PU mit einer
kompletten tubuläre PU, Abb. 2 ). Diagnostische
Erwartungsgruppen sind z.B. nekrotisierende Glomerulonephritiden bei
Systemerkrankungen, wie Kollagenosen, anderen Vaskulitiden (M. Wegener),
disseminierten intravasalen Gerinnungsstörungen (HUS), oder Amyloidose.
Interstitielle Nierenerkrankungen gehen mit einer tubulären
Form der PU einher.
Je nach Ausmaß der interstitiellen Infiltrate, der Kapillardestruktion, der
interstitiellen Fibrose und der Atrophie der Tubulusepithelien
wird in der SDS-Elpho eine inkomplette von
einerkompletten tubulären PU
unterschieden (s. Abb. 1 ). Ursache ist die verminderte tubuläre Reabsorption
frei glomerulär filtrierter kleinmolekularer Proteine, wie
alpha-1-Mikroglobulin, Retinol-bindendes Protein, ß-2-Mikroglobulin oder auch
Hämoglobin und Myoglobin. Eine Sonderform ist die Bence-Jones
Paraproteinurie, die prärenal bedingt ist, jedoch per
se Tubuluszellen schädigt, da viele monoklonalen
L-Ketten zytotoxisch sind. Patienten mit Myelom und freien L-Ketten haben daher
häufig in fortgeschrittenen Stadien eine komplette tubuläre PU, falls nicht
zusätzlich eine Amyloidose besteht. Mit konventionelle Proteinbestimmungsmethoden
ein-schließlich der Teststreifen wird eine tubuläre PU i.A. nicht
entdeckt. Hier hilft die SDS-Elpho und die
Individualproteinbestimmung (z.B. alpha-1-Mikroglobulin) durch Nephelometrie
weiter. Eine tubuläre PU mit "steriler Leukozyturie"
kann Hinweis auf eine Analgetika-assoziierte Nephropathie sein.
Beispiele von Proteinurie-Ausscheidungsmustern und
möglichen diagnostischen Erwartungsgruppen zeigen die Abb. 1 sowie Tabelle 8,
9.
Proteinurie nach
Nierentransplantation
Unmittelbar nach der Organübertragung herrscht
innerhalb der ersten 5 - 7 Tage eine mäßige unselektive
PU (und Mikrohaematurie) vor, bedingt durch
Wundoberflächen. Das normal funktionierende Nierentransplantat hat
typischerweise eine tubuläre PU, die sich bis auf eine geringradige
Albuminurie weiter zurückbilden kann. Im Verlauf einer akuten
Transplantatabstoßung wechselt das tubuläre Muster (das sich zusätzlich
verstärkt) in das eines glomerulären PU Ausscheidungstyps. Bei chronischem
Transplantatfunktionsverlust ("chronische Abstoßung") herrscht eine (unselektive) glomerulotubuläre PU
vor.
Praktisches Vorgehen
bei V.a. Nephropathie und PU
(3, 5, 8, 14).
1. Untersuchung des zweiten Morgenurins (Mittelstrahl-Urin) im Teststreifen:
Parallelansatz: Harnsediment
2. bei positivem PU- Befund: quantitative Bestimmung von IgG,
Albumin, apha-1-
Mikroglobulin (Turbidimeter, Nephelometer)
3. bei negativem Teststreifen, aber klinischem V.a. Nierenbeteiligung (z.B.
Myelom,
toxische Nephropathie, interstitielle Nephritis):
quantitativ: alpha-1-Mikroglobulin und/oder SDS-Elpho;
bei V.a. Paraprotein
(prärenale PU): Diskrepanz zwischen hoher Gesamtweiweißausscheidung
(Fällungsmethode) und niedriger Albuminkonz.
(Albumin/ Ges.Protein < 0.3):
Immunelektrophorese, Immunfixation.
4. Beurteilung der PU nur in Verbindung mit Harnsediment (Phasenkontrast -
mikroskopie): Erythrozyturie,
Leukozyturie, Zylindrurie,
Rundzellen, Erreger (Pilze,
Protozoen, massenhaft Bakterien) " Erythrozytenmorphologie
(dysmorphe Eryro-
zyten").
5. bei V.a. postrenale PU : IgG,
IgM, alpha-2-Makroglobulin, Apolipoprotein A-1,
Mikrohaematurie: keine dysmorphen
Erythrozyten.
Zusammenfassung
Die moderne Harnwegsdiagnostik beinhaltet, neben
Sedimentuntersuchung und Sonographie, die differenzierte Analyse der Proteinurie. Probe ist der zweite Morgenurin
(Mittelstrahl). Das Muster der PU gibt wichtige Aufschlüsse über die mögliche
Grunderkrankung, wie z.B. Formen der Glomerulonephritis, interstitielle
Nephritiden, prä- und postrenale Proteinurien.
Basisuntersuchungen sind der immunchemische Nachweis von IgG,
Albumin und alpha-1-Mikroglobulin, jeweils bezogen auf die Kreatininkonzentration
im Harn und u.U. ergänzt durch die SDS-Elektrophorese, Immunelektrophorese
und/oder Immunfixation.
Tabelle 1 |
|
Klinische Aspekte
der Proteinurie |
|
1. |
Vorliegen einer Nieren - oder Systemerkrankung |
2. |
zusätzlicher Progressionsfaktor der Nierenerkrankung |
3. |
Proteinurie-Muster kann Hinweis auf Art der Grunderkrankung geben (sog.
diagnostische Erwartungsgruppe des Protein-Ausscheidungsprofils) |
4. |
in Verbindung mit "aktivem Harnsediment" (Erytrozyturie,
Leukozyturie, Zylindrurie,
Rundzellen etc.) umgehend weitere Diagnostik erforderlich, z.B.
Nierenbiopsie. |
Tabelle 2 |
|
Proteinurie als Progressionsfaktor der
Nierenerkrankung |
|
1. |
Beladung (Akkumulation) von Eiweiß in glomerulären und tubulären Zellen
induziert (Complement-bedingte) Zellmembranschäden
und Störung des Ionengleichgewichts. |
2. |
Intrazelluläre Proteindepots führen reaktiv zur adaptativen
Mehrsynthese lysosomaler Proteasen (Proteinasen) wie Kathepsin
B und D; durch erhöhte proteolytische Aktivität zunehmende Instabilität der
Nierenzellen (Nekrosen). |
3. |
Erhöhter zellulärer Proteintransit und Einweißablagerung
bedingen Einwanderung von Entzündungszellen (Monozyten, Makrophagen) vom Blut
in die Niere: PU induziert entzündliche Infiltrate über die tubuläre Synthese
von Chemokinen |
4. |
PU induziert die Produktion extrazellulärer Matrixsubstanzen (Fibronektin, Kollagen IV) in Mesangium,
Podozyten und Tubulusepithelien
und fördert den interstitiellen Umbau (interstitielle Fibrose). |
5. |
Bei großer PU führen glomerulär filtrierte oxidierte Lipoproteine (Lipidurie) zu zytotoxischen Läsionen (Mesangium,
Tubulusepithelien). |
Tabelle 3 |
||||||||
Physiologische und
pathologische Proteinurie |
||||||||
1.) Funktionelle PU: |
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Tabelle 4 |
||||||
Serumproteinurie und "Lokalisation" |
||||||
Prärenale Form: |
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Tabelle 5 |
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Beispiele
anteiliger Eiweiße einer Proteinurie |
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1. |
Serumproteine: |
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|||
2. |
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3. |
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Tabelle 6 |
|||
Gebräuchliche
Analyseverfahren zur Proteinurie |
|||
1. |
Qualitative
Verfahren |
||
|
|||
2. |
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Tabelle 7 |
||||
Standard Harnproteinmarker
und Normalwerte |
||||
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Tabelle 8 |
|||
Proteinurie und mögl. diagnostische
Erwartungsgruppen |
|||
1. |
selektive
glomeruläre PU |
||
|
|||
2. |
|
||
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|||
3. |
|
||
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4. |
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Abkürzungen: GN: Glomerulonephritis/Glomerulopathie;
MAU= Mikroalbuminurie |
Tabelle 9 |
||||||
Proteinurie als paraneoplastisches Syndrom |
||||||
Glomeruläre Proteinurie |
||||||
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||||||
|
||||||
|
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